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Der Lehrstuhl als Instrument des Machtmissbrauchs
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Die pyramidenartige hierarchische Struktur des Lehrstuhlsystems in Deutschland ermöglicht Machtmissbrauch und Abhängigkeiten im Hochschulbetrieb. Das deutsche Lehrstuhlsystem steht immer wieder in der Kritik der Jungen Akademie – einer Vereinigung junger Professoren. Die Junge Akademie plädiert für eine Reform, die die Missverteilung der Macht beseitigt und stattdessen Professoren die gleichen Möglichkeiten einräumt. Andere wiederum schlagen einen anderen Ansatz vor, um das Problem zu lösen.
Das Lehrstuhlprinzip, wie es an deutschen Universitäten und Hochschulen etabliert ist, steht zunehmend in der Kritik aus den eigenen Reihen. Wer explizit den Unmut über den Status Quo des Wissenschaftssystems in Deutschland kundgibt, sind die Mitglieder der Jungen Akademie, eine Vereinigung junger Professoren. Hauptgegenstand ihrer Kritik ist die pyramidenartige Hierarchie-Struktur des Systems, die Lehrstühle zu einem wirkungsvollen Werkzeug der Macht von Professoren mache und Abhängigkeitsbeziehungen begünstige. Die systemischen Konsequenzen reichen nach Auffassung der Jungen Akademie von schlechten Arbeitsbedingungen, unsicheren Jobs über begrenzte Karriereaussichten bis hin zu einem wissenschaftlichen Qualitätsverlust. Die Vereinigung fordert deshalb eine profunde strukturelle Reform, die die bisherige Struktur durch eine sogenannte „Department-Struktur“ ersetzen soll.
Das Lehrstuhlsystem als Pyramidensystem
Dem Thesenpapier der Jungen Akademie zufolge gestalten sich Lehrstühle in Deutschland als pyramidenartige Hierarchien, an deren Spitze eine relativ geringe Anzahl an Lehrstuhlinhabern steht, dicht gefolgt von den Inhabern einer Professur. Die unterste Ebene nimmt eine verhältnismäßig große Zahl an abhängig beschäftigtem Wissenschaftspersonal ein (z. B. promovierte oder promovierende wissenschaftliche Angestellte). Wer oben steht, kommt in den Genuss gewisser Privilegien; wer sich auf der unteren Ebene befindet, steht in einem starren Abhängigkeitsverhältnis, so die Junge Akademie sinngemäß. Zwar seien auch Professoren hierarchisch eingebettet, insofern sie etwa ihren Präsidien unterstehen. Doch das könne nicht über ihre bevorzugte Stellung hinwegtäuschen: Sie verfügen über die Entscheidungskompetenz über Ressourcen sowie Einstellungen bzw. Entfristungen von wissenschaftlichem Personal. Als Beamte genießen sie besonderen Schutz und können im Falle von Beschwerden nur schwierig von den Hochschulen abgestraft werden. Folgt man dieser Argumentation, so birgt diese Pyramidenstruktur das Risiko des Machtmissbrauchs.
Der mögliche Machtmissbrauch an Lehrstühlen erstreckt sich über ein weites Spektrum
Wo einige Menschen an der Macht sind, besteht die Gefahr, dass diese Macht missbraucht wird. Das ist nicht nur in der Politik oder in der Filmindustrie so, sondern auch in der Wissenschaft. Die Position von Professoren im gegenwärtigen Lehrstuhlsystem eröffnet – zumindest in der Theorie – eine große Bandbreite an Möglichkeiten des Machtmissbrauchs.
So besitzen Professoren beispielsweise die Macht, ihren Promovenden mehr Arbeit zuzumuten als vertraglich vereinbart. Das Leisten von Überstunden ist für viele schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Während wissenschaftliche Mitarbeiter oft noch nach Arbeitsende Abschlussarbeiten und Klausuren bewerten müssen, setzt der Professor lediglich seine Unterschrift darunter.
Darüber hinaus haben Professoren einen enormen Einfluss auf die Bewertung des wissenschaftlichen Nachwuchses, welche teils willkürlich erfolgen kann. Weicht etwa die vom Doktoranden eingenommene Position in dessen Dissertation – ungeachtet der Qualität der wissenschaftlichen Leistung – zu stark von der seines Betreuers bzw. der inhaltlichen Linie des Lehrstuhls oder vom wissenschaftlichen Mainstream insgesamt ab, so kann dies mit einer schlechteren Bewertung einhergehen.
Hinzu kommt, dass Professoren das intellektuelle Eigentum ihrer Mitarbeiter für ihre eigenen Zwecke ausnutzen imstande sind. Ein derartiger Fall liegt beispielsweise dann vor, wenn der Name des Professors in einem Forschungspaper, das ausschließlich auf den Forschungsarbeiten der Mitarbeiter beruht, an erster Stelle oder sogar als einziger Name erscheint.
Prekäre Arbeitssituation an Hochschulen ist Haupttreiber
Die Arbeitssituation an Hochschulen ist durch ein hohes Maß an Unsicherheit und Abhängigkeit gekennzeichnet. Die große Mehrheit der wissenschaftlichen Mitarbeiter arbeitet mit befristeten Arbeitsverträgen, wobei jeder zweite Vertrag maximal zwölf Monate läuft. Dieser Umstand kann kaum überraschen, wenn man bedenkt, dass die Wissenschaft zunehmend durch Drittmittel gefördert wird und selbst die den Hochschulen zur Verfügung stehenden Grundmittel vermehrt für befristete Stellen Verwendung finden. Diese prekäre Situation öffnet Tür und Tor für potenziellen Machtmissbrauch. Denn die berufliche Unsicherheit treibt die Betroffenen in die Abhängigkeit von Professoren, entscheiden diese doch über die Verlängerung eines Vertrages.
Verstärkt wird das Abhängigkeitsverhältnis dadurch, dass für viele Wissenschaftler der Ausstieg aus der Wissenschaft nur schwer möglich ist, weil sie zu alt und/oder überqualifiziert sind. Was bleibt, ist die Hoffnung auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bzw. auf eine eigene Professur. In diesen Genuss kommen allerdings nur sehr wenige. Auf gerade einmal elf Promotionen wird eine Professur neu belegt. Das bedeutet, dass eine beständig niedrigere Menge an Professuren auf eine zunehmende Zahl von wissenschaftlichen Mitarbeitern trifft, die sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten zu retten versuchen. Um dem entgegenzuwirken, schlägt die Junge Akademie einen flächendeckenden Strukturwandel vor.
Die Department-Struktur – eine potenzielle Lösung des Strukturproblems?
In ihrem Debattenpapier plädiert die Junge Akademie dafür, die bestehende Organisationsstruktur an Hochschulen und Universitäten in Deutschland zugunsten einer Department-Struktur aufzubrechen, nach dem Vorbild angelsächsischer Universitäten. Die Abschaffung der Lehrstühle führt danach zu einer flacheren hierarchischen Struktur, da nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Ebenen vorhanden wären. Die Entscheidungskompetenz wird in diesem Modell auf eine Vielzahl von Professoren verteilt, die sich auf Augenhöhe begegnen. Was sich die Junge Akademie von dem Strukturwandel erhofft, sind mehr Arbeitssicherheit und bessere Karriereperspektiven durch eine Umverteilung der Mittel, die ins Wissenschaftssystem fließen. Die Grundidee besteht darin, mehr Mittel in unbefristete Professorenstellen und weniger Mittel in befristete Stellen zu investieren. Im Ergebnis gäbe es dann insgesamt weniger Stellen, doch dafür würden sich die Arbeitsbedingungen sämtlicher Stellen verbessern. Der Weg zur Professur beginnt nach diesem Konzept in Graduiertenzentren, die nur noch dem Department unterstellt sind. Auf eine erfolgreiche Promotion soll im nächsten Schritt eine befristete Professur folgen, die bei herausragenden Forschungs- und Lehrleistungen entfristet wird.
Kritik am Department-Konzept
Wie bei allen Debatten, stößt eine Idee nicht nur auf Zustimmung. Gleiches gilt auch für den Vorschlag der Jungen Akademie. So eruiert Jens Bochert, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main, mehre Defizite des Department-Gedankens. Zum einen bezweifelt Borchert das tatsächliche Ausmaß der beruflichen Unzufriedenheit von wissenschaftlichen Angestellten. Zwar seien diese mit gewissen Aspekten ihrer beruflichen Situation unzufrieden, doch keineswegs mit der Situation als solcher. Dies belege eine Vielzahl von Umfragen.
Des Weiteren ist Borchert der Auffassung, dass die von den Anhängern der Department-Idee geforderte strukturelle Umwälzung die Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses eher verschlechtern würde, da die Hinwendung zu mehr Professorenstellen einerseits nur für wenige Postdoktoranden eine Lösung darstelle, während die Lage der übrigen Angestellten unklar bleibe, und andererseits negative Folgen für die administrative Hochschulbelegschaft wie Stellenabbau oder Arbeitsintensivierung zu befürchten seien.
Unter anderem spreche ebenfalls gegen das Modell der Jungen Akademie, dass die Departments in den angelsächsischen Vorbild-Ländern alles andere als egalitär seien. So werden dort unliebsame Aufgaben des Departments an prekär Beschäftigte außerhalb des Departments delegiert, so Borchert. Abgesehen davon müssen sich nach Borchert Promovenden in den USA ihre Studiengebühren mit wissenschaftlichen „Frondiensten“ finanzieren. Außerdem unterlägen die Departments in den USA der Kontrollmacht professionalisierter Dekane und Dekaninnen, und es herrsche dort der Trend vor, in der Lehre außerordentliche Professoren (adjunct professors) zu beschäftigen, die nicht fest angestellt sind.
Insgesamt stimmt Borchert durchaus darin überein, dass Veränderungen im bestehenden Wissenschaftssystem notwendig sind. Anders als die Junge Akademie wehrt sich Borchert jedoch gehen den „neoliberalen“ Vorschlag einer Zerschlagung des derzeitigen Systems. Stattdessen befürwortet er graduelle Reformen wie etwa die Etablierung von unbefristeten Stellen im Mittelbau.
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