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Prekäre Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler an Hochschulen
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Was einst ein Traum war, um der Welt und Gesellschaft einen Dienst zu erweisen, ist für viele zu einem Albtraum geworden. Wissenschaftler in Deutschland begegnen immer noch großen Herausforderungen in ihrer Arbeit an Hochschulen. Warum stellt dies im 21. Jahrhundert immer noch ein Problem dar?
„Wissenschaftler sein oder nicht sein, das ist die Frage”
Der Beruf des Wissenschaftlers ist allgemein anerkannt und wird in der Regel als verantwortungsvoll und legitim angesehen, da er ein großes Maß an Hingabe zur Erreichung der gewünschten wissenschaftlichen und gesellschaftlich nützlichen Ziele voraussetzt. Der Weg zum erfolgreichen Wissenschaftler in einem bestimmten Bereich ist zweifelsohne steinig. Er verlangt Jahre des Engagements, der Zeit, Energie und einer ausgeprägten Disziplin. Eine Vielzahl junger Menschen, die sich für diesen Weg entscheiden, haben die gleiche Motivation gemeinsam, nämlich Leidenschaft und Neugierde, die sich in der Regel schon in jungen Jahre entwickelt. Dieses lebenslange Interesse an Wissenschaft macht den Beruf noch wertvoller und zu einer großen Aufgabe für diejenigen, die ihn anstreben.
Doch sobald sie an diesem Punkt in ihrem Leben angelangt sind, bleiben viele aufgrund des Fehlens guter Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen erfolglos. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ist zu einem der zentralen Probleme für qualifizierte Wissenschaftler heutzutage geworden. Obschon die Regierung bereits darauf aufmerksam gemacht wurde, ist eine stabile Lösung bislang ausgeblieben. Warum genau empfinden Wissenschaftler die Arbeitsbedingungen als miserabel? Was haben Forscher in letzter Zeit unternommen, um auf dieses Problem aufmerksam zu machen? Wie gehen die Regierung und die zuständigen Ministerien dieses Problem an? Lies weiter, um mehr über die Beschäftigungs-Debatte in der Wissenschaft zu erfahren.
Ausgebeutet durch das System: Die größte Herausforderung, der Wissenschaftler begegnen
In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Wissenschaftler und Angestellte in den Bereichen Technologie und Verwaltung an deutschen Hochschulen ihre Arbeitsbedingungen als miserabel eingestuft. Gemäß einem Bericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bietet der Bildungssektor schlechtere Arbeitsbedingungen als jeder andere öffentliche Sektor im Land. Fast 80% der befragten Personen gaben an, dass sie sich durch das System ausgebeutet fühlen. Insofern dieses Problem schon seit vielen Jahren ohne sichtbare Verbesserungen besteht, kann die deutsche Wissenschaft fatale Konsequenzen erleiden.
Speziell ergibt sich das Problem aus dem Nicht-Vorhandensein unbefristeter Verträge für bestimmte akademische und nicht-akademische Angestellte an deutschen Hochschulen. In den letzten zwölf Jahren haben zahlreiche Wissenschaftler und Angestellte in den Bereichen Technologie und Verwaltung viele Male erklärt, dass sie überwiegend befristet beschäftigt seien. Die meisten befristeten Verträge haben eine Laufzeit von weniger als einem Jahr. Aufgrund von Kurzzeitverträgen und temporären Arbeitsplätzen sucht die Mehrheit des akademischen Personals nach zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten. Daraus ergibt sich, dass junge Wissenschaftler drei oder mehr Jobs haben, um über die Runden zu kommen. Darüber hinaus geben drei Viertel wissenschaftlicher Angestellte an, im Schnitt zehn Überstunden pro Woche zu machen. Eine unsichere Planung, übermäßige Arbeit bei unzureichender Vergütung und miserable Arbeitsbedingungen haben viele wissenschaftliche Angestellte ihrer Motivation beraubt und Spannungen zwischen ihnen, den Hochschulen und den zuständigen Behörden erzeugt.
Das befristete Beschäftigungsverhältnis scheint aber nicht das einzige Problem hier zu sein. Der Leistungsdruck seitens der Arbeitgeber hat die ohnehin dramatische Situation noch beträchtlich verschlimmert. Hochschulen und Forschungseinrichtungen im ganzen Land fordern neues Personal und Flexibilität hinsichtlich der Arbeitsverträge. Diese Forderungen entspringen der Angst, dass das System durch zu viele Angestellte derselben Generation blockiert werden könnte. Junge qualifizierte Fachkräfte sind sehr gefragt, doch keine der Institutionen bietet attraktive Arbeitsbedingungen, die eine stabile Zukunft der Angestellten gewährleisten können. Und auch die Bundesregierung ist in dieser Situation keine Hilfe. Seit seiner Entstehung im Jahr 2007 dient das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) dazu sicherzustellen, dass Doktoranden nur befristert beschäftigt werden. Gemäß dem Gesetz können junge Akademiker mit einem befristeten Arbeitsvertrag beschäftigt werden, der es ihnen ermöglicht, maximal sechs Jahre vor und nach ihrer Promotion zu arbeiten. Das Gesetz wurde mehrere Male geändert, angeblich zu Gunsten wissenschaftlicher Angestellter, allerdings ohne Ergebnisse. Akademiker haben weiterhin zu kämpfen, indem sie in mehreren Jobs arbeiten, ohne Planungssicherheit.
Erfreulicherweise bieten die sozialen Medien mit ihrer Redefreiheit jungen Wissenschaftlern die Möglichkeit, die Debatte selbst in die Hände zu nehmen und gemeinsam für eine längst überfällige Veränderung einzutreten. Seit 2021 wurden die sozialen Medien mit persönlichen Profilen und Geschichten wissenschaftlicher Arbeitskräfte im Zusammenhang mit #IchbinHanna bombardiert.
Die #IchbinHanna-Bewegung macht das Problem deutlich
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat 2018 ein Video veröffenticht, dessen Ziel darin bestand, den Sinn der Änderung des WissZeitVG zu erläutern. In dem Video wird gezeigt, wie die Protagonistin Hanna, eine Doktorandin in Biologie, ihre berufliche Karriere schon frühzeitig planen muss. Ein weiterer Aspekt, der in dem Video angesprochen wird, ist, dass die befristeten Verträge mit einer 12-Jahres-Begrenzung ausgestattet sind, um „Verstopfung” im deutschen Hochschulsystem zu verhindern.
Nach Veröffentlichung des Videos verschärfte sich die Lage, insofern wissenschaftliche Arbeitskräfte das Gefühl hatten, dass das Video eher eine Verhöhnung als eine Erläuterung sei. Mehrere waren der Ansicht, dass das Bildungsministerium lieber mehr Zeit damit verbingen sollte, das Gesetz zu verbessern und Wissenschaftlern die Sache zu erleichtern, anstatt solche Videos zu produzieren. Andere kritisierten die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek dahingehend, dass das Video die Angst der nächsten Generation von Wissenschaftlern um ihre künftige Laufbahn in der Wissenschaft schüre. Obwohl das Video schließlich entfernt und eine Erklärung durch das BMBF abgegeben wurde, haben junge wissenschaftliche Arbeitskräfte sich entschlossen, zu handeln und das Problem in den sozialen Medien näher zu beleuchten.
So entstand zweieinhalb Jahre nach Erscheinen des Videos die #IchbinHanna-Bewegung. Akademiker und Forschende im Land haben ihre persönlichen Geschichten mit der Welt geteilt und auf diese Weise die Aufmerksamkeit auf das Problem erhöht, sowohl in Europa als auch weltweit. Zurzeit wurden über 75.000 Tweets zu dem Thema geteilt, mit dem Ergebnis, dass die Gesellschaft und künftige Wissenschaftler über die Probleme informierter sind.
Doch diese Bewegung entstand nicht aus dem Nichts. Tatsächlich organisieren sich Menschen gegen die befristeten Verträge schon seit einiger Zeit. In den letzten Jahren wurden einige lokale Selbstorganisationen an verschiedenen deutschen Hochschulen gegründet mit der Absicht, unbefristete Verträge sowie volle Bezahlung für sämtliche wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Angestellten zu fördern.
Wie geht es weiter?
Mehrere Jahre lang unternahmen die zuständigen Behörden weder die notwendigen Schritte noch gingen sie das Problem adäquat an. Was sie stattdessen taten, war, Spannungen zwischen Wissenschaftlern und Hochschulen zu erzeugen und die Hochschulwelt in Deutschland enrsthaften Konsequenzen auszusetzen. Nach nunmehr zwölf Jahren der Unsicherheit könnte die Geschichte endlich ihr Ende finden. Infolge der #IchbinHanna-Bewegung wurden die Probleme rund um die befristeten Verträge angesprochen und Ende Juni 2021 ein Thema im Bundestag. Mehrere Parteien haben die Hochschulen kritisiert und bessere Arbeitsbedingungen, klare Karriereaussichten sowie eine Änderung der Bildungspolitik gefordert. Nun liegt es am Bildungsministerium und Verbänden wie der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), sich zusammenzutun und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um mehr Möglichkeiten für unbefristete Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Die #IchbinHanna-Bewegung hat sicherlich die Wichtigkeit und Dringlichkeit der zeitlichen Beschränkungen herausgestellt und sogar Politiker in die Initiative verwickelt. Wissenschaftliche Arbeitskräfte können jetzt auf eine Reform des Gesetzes hoffen, damit sie endlich von einer unbefristeten Stelle profitieren können.