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Schafft sich der Bologna-Prozess selbst ab?
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Der Bologna-Prozess wurde durch eine Reihe von zwischenstaatlichen Abkommen und Reformen in Gang gesetzt mit dem Ziel, Hochschulen und Studiengänge europaweit zu vereinheitlichen, Hochschulen attraktiver zu gestalten und die Studentenmobilität zu erhöhen. Die Vereinheitlichung der Hochschulbildung hat jedoch Probleme für Studierende und Hochschulen gleichermaßen verursacht.
Hochschulbildung verändert sich rapide, um auf die sich ständig ändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes zu reagieren. Immer mehr Stellen erfordern hohe Qualifikationen. Innovation und Unternehmergeist stehen im Arbeitsmarkt an erster Stelle. Der Bologna-Prozess bzw. das Studieren nach dem Baukastenprinzip ist in vielen europäischen Ländern zur Norm geworden. Es bestehen allerdings große Zweifel darüber, ob ein für alle Hochschulinstitutionen gleiches Konzept funktionieren kann und ob die Vereinheitlichung von Studiengängen nachhaltig ist. Nicht zuletzt sie wachsenden Spannungen gegenüber dem Bologna-Prozess werfen die Frage auf, ob der Bologna-Prozess nicht vielmehr im Begriff ist, sich selbst abzuschaffen.
Was ist der Bologna-Prozess?
Beim sogenannten Bologna-Prozess handelt es sich um eine Reihe von zwischenstaatlichen Abkommen und Reformen zwischen 48 europäischen Ländern. Der Prozess wurde im Jahre 1999 durch die entsprechenden Bildungsminister ins Leben gerufen. Seitdem werden alle zwei Jahre Treffen abgehalten, um den Fortschritt des Prozesses zu kontrollieren und neue Ziele festzulegen. In den letzten 20 Jahren hat das Ziel des Prozesses darin bestanden, das Studieren nach dem Baukastenprinzip zu befördern. Zu diesem Zweck wurde das dreiphasige System Bachelor-Master-Doktorat eingeführt mit dem Ziel, die Qualität der Hochschulbildung zu verbessern und den Ablauf der Anerkennung von Bildungsabschlüssen zu vereinfachen.
Weil sich die Bildungssysteme in Europa von Land zu Land stark unterscheiden und infolgedessen den Bewerbungsprozess für ein Auslandsstudium erschweren, sollte der Bologna-Prozess dazu dienen, den Ablauf zu erleichtern und so die Mobilität von Studierenden zu erhöhen. Erreicht werden sollte dies durch europaweit kompatible Bildungssysteme. Ein weiteres Ziel des Bologna-Prozesses besteht darin, Universitäten und Hochschulen durch Modernisierung ihrer Bildungs- und Ausbildungssysteme wettbewerbsfähiger und attraktiver zu gestalten, um den Anforderungen des sich stets verändernden und wachsenden Arbeitsmarktes gerecht werden zu können.
Was wurde tatsächlich erreicht?
Zunächst einmal hat sich die Umsetzung der dreiphasigen Studienstruktur verbessert. Inzwischen stellt diese das vorherrschende Modell in vielen europäischen Ländern dar. Allerdings gibt es immer noch eine Reihe von Ländern, in denen weitere Reformen erforderlich sind, um sicherzustellen, dass ihre Studienprogramme kohärent sind. Ferner bestehen kürzere Studienprogramme, bei denen die Prüfungsleistungen innerhalb der ersten Phase anerkannt werden können, wobei diese Programme jedoch nicht überall in Europa anerkannt sind.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Anerkennung von Qualifikationen. In den meisten Ländern deckt sich der Inhalt der nationalen Gesetzgebung und Rechtsvorschriften mit dem internationalen Rechtsrahmen. Allerdings sind weitere Fortschritte hinsichtlich der Vorgehensweise bei der Anerkennung der Qualifikationen von Flüchtlingen und Vertriebenen erforderlich.
Qualitätssicherung ist das dritte Ziel, auf das der Bologna-Prozess hinarbeitet. So sind Hochschulinstitutionen dazu angehalten, Qualitätssicherungsstrategien und Evaluierungsberichte zu entwickeln und zu veröffentlichen. Gleichwohl gilt es, mehr dafür zu sorgen, dass Studierende gleichermaßen an den Qualitätssicherungsprozessen beteiligt sind.
Darüber hinaus konzentriert sich der Bologna-Prozess darauf, die Lern- und Lehrbedingungen zu verbessern, die Hochschulbildung integrativer für benachteiligte Studierende zu machen, die Beschäftigungsquoten von Absolventen zu steigern, die Mobilität von Studierenden sowie die Internationalisierung auszuweiten und Werte zu etablieren, die die Hochschulbildungssysteme auf dem gesamten Kontintent vereinen.
Der Bologna-Prozess in der Kritik – Was bedeutet Bologna für die Zukunft?
In Deutschland häufen sich die Beschwerden, dass der Bologna-Prozess die Hochschulbildungslandschaft des Landes vollständig verändert habe. Studierende sind der Auffassung, dass zu viel Lernstoff in das dreijähige Bachelorstudium gepackt sei und dass die Auswahlmöglichkeiten für das Masterstudium begrenzt seien. Der Schwerpunkt hat sich von einer umfassenden Ausbildung zu einer bloßen Vorbereitung auf den Beruf verlagert. Viele haben den Eindruck, dass diese Reformen darauf abzielen, Studierende durch ihr Studium zu drängen, ohne dass sie eine angemessene Ausbildung erhalten. Dabei sei mehr Zeit erforderlich, um gut und umfassend ausgebildete Personen hervorzubringen. Demnach bringen Hochschulen Absolventen zwar in einer schnelleren Weise hervor, aber die Anzahl an Personen, die den Anforderungen der freien Wirtschaft gewachsen sind, nimmt ab.
Die Überschwemmung der Hochschulen mit Studierenden führt an Bildungsinstitutionen zu finanziellen Engpässen. Die Auswirkungen zeigen sich selbst an den finanziell gut ausgestatteten Hochschulen – überfüllte Hörsäle, veraltete Lehrbücher, zerbröckelnde Gebäude. Zwar haben sich die Hochschulen weiter geöffnet, aber zu welchem Preis?
Aus Spanien ertönt die Kritik, dass der Bologna-Prozess die Bildung tatsächlich teurer mache und den Studierenden die Möglichkeit nehme, während ihres Studiums zu arbeiten. Widerstand hat sich sogar schon in Form von Protesten und Besetzungen von Universitäten gezeigt.
Das Hauptproblem, das Bildungsinstitutionen europaweit zum Ausdruck bringen, betrifft die Vereinheitlichung von Abschlüssen und studiengangsbezogenen Evaluierungen. Der Bologna-Prozess schreibt den Hochschulen für jeden Studiengang dieselbe Anzahl an Studienzeiten und Kreditpunkten vor. Das bedeutet, dass ein vierjähriger Bachelorstudiengang auf drei Jahre heruntergepresst und aus aus einem einjährigen Masterstudiengang ein zweijähriger gemacht worden ist – nicht etwa, weil Professoren einen anderen Ansatz verfolgen würden, sondern weil Politiker der Auffassung sind, dass Studiengänge die gleiche Dauer haben sollten. Mit anderen Worten: Das “Material” muss passend gemacht werden, auch wenn einiges dabei verlorengeht.
Ein weiteres Gegenargument ist, dass der Bologna-Prozess entgegen seinem Anspruch nicht die Mobilität der Studierenden erhöht. Vielmehr ist die Struktur der Studiengänge für Studierende zu unflexibel, um erfolgreich ein Semester im Ausland zu verbringen. Es ist gängige Praxis an Hochschulen geworden, dass Studierende zusätzliche Prüfungen ablegen müssen, nachdem sie von ihrem Auslandssemester zurückkehren, oder sogar das “verpasste” Semester nachholen müssen. Studiengänge sind immer noch nicht aufeinander abgestimmt, und die Anrechnung von Kreditpunkten ist mitunter ein schwieriger Prozess.
Daneben ist es für berufstätige Studierende oder solche mit Kindern sehr schwierig geworden, einen akademischen Abschluss zu verfolgen. Während die Anzahl der Studierenden, die die Hochschule wechseln, gefallen ist, hat die Anzahl der Studienabbrecher zugenommen.
Die Hochschulen fordern zu größerer Zusammenarbeit auf. Entscheidungen sollten auf der Grundlage von Diskussionen herbeigeführt werden, doch im Rahmen des Bologna-Prozesses wurde eine Reihe von Entscheidungen ohne jegliche Debatte verhängt. Die Schwierigkeit liegt darin, dass akademische Systeme von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich sind und sie nicht den gleichen Standard haben. Gleiche Studiengänge können auf unterschiedliche Weise durchgeführt werden, wobei je nach Lehrkraft unterschiedliche Ansätze Anwendung finden. Da einige Hochschulen selektiver sind als andere und hohe Standards haben, ist es schwierig, die gleichen Programme überall anzuwenden.
Zu konstatieren ist, dass der Bologna-Prozess ein Musterbeispiel einer Bürokratie geworden ist, in der es ausschließlich Politiker sind, die die europäische Bildung festlegen. Auch wenn die Zukunft ungewiss ist, so ist es eine Tatsache, dass viele für die Zukunft einen stärker kooperationsorientierten Ansatz fordern, der es erlaubt, Hochschulen in die Diskussion zu integrieren und Entscheidungen zu treffen, die für alle Seiten von Vorteil sind.
Fazit
Ob der Bologna-Prozess im Begriff ist, sich selbst abzuschaffen, lässt sich noch nicht mit Sicherheit beantworten. Wie in der Frage, ob die Europäische Union angesichts des bevorstehenden Brexits und der zunehmenden, durch die Flüchtlingskrise erzeugten Spannungen in den EU-Mitgliedsstaaten zusammenbrechen wird, hängt die Antwort letztlich von der politischen Bereitschaft ab, Entscheidungsprozesse stärker zu demokratisieren und die nötigen Reformen durchzusetzen. Das fundamentale Problem am Bologna-Prozess ist, dass die Standardisierung von Bildung sowohl für Studierdende als auch für Hochschulen und Universitäten erhebliche Schwierigkeiten erzeugt. Die Studierenden werden durch ihr Studium gehetzt, um schnellstmöglich in der freien Wirtschaft Fuß zu fassen. Der Mangel an einer umfassenden Ausbildung bewirkt allerdings das Gegenteil – Individuen, die zum Teil nicht den Anforderungen der Industrie gewachsen sind, was den Bedarf an hochqualifizierten Fachleuten nur erhöht. Universitäten und Hochschulen hingegen leiden unter finanziellen Engpässen und erreichen die Grenzen ihrer Kapazitäten. Ganz gleich, ob der Bologna-Prozess sich abschafft oder nicht, fest steht, dass die bestehenden Probleme sicherlich nicht dadurch gelöst werden, dass der Bologna-Prozess einfach global ausgeweitet wird. Vielmehr ist die Zeit reif für grundlegende Veränderungen.